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Speisekartenkauderwelsch

Knusprige Dummheit an einem Bouquet von überflüssiger Extravaganz

„Ich hätte gerne einmal Spaghetti mit Tomatensauce, bitte!“, bestelle ich in einem kleinen Restaurant an der schönen Ostseeküste. Die Kellnerin wiederholt meinen Wunsch, um sicherzustellen, dass keine Missverständnisse vorliegen: „Also die hausgemachten Spaghetti auf Essenz von der Strauchtomate?“
Ich nicke und gleichzeitig möchte ich gerne den Kopf schütteln. Macht es meine simplen Spaghetti gleich viel leckerer, wenn sie statt mit schnöder Tomatensauce „auf Essenz von der Strauchtomate“ serviert werden? Noch dazu frage ich mich, welche Abgrenzung die arme Tomate vornehmen möchte, wenn sie extra betont, dass sie vom Strauch kommt. Baumtomaten sind mir bisher jedenfalls noch nicht begegnet. Darüber hinaus schwirrt mit der Gedanke durch den Kopf, ob bei einem Preis von 6,50 Euro wirklich „Essenz“ von irgend etwas hergestellt wird oder ob hier nicht versucht wurde, das gewöhnliche Speisenangebot ein wenig exquisiter wirken zu lassen, indem die kleinen Partikelchen „mit“ und „und“ gestrichen und durch „an“, „auf“ und ihre Freunde „der“, „die“, „das“ ersetzt worden sind. Und da man nun mal schon dabei war, den Rotstift großzügig zu schwenken, fielen ihm offenbar auch gleich simple, aber zutreffende Bezeichnungen zum Opfer.

Während meines gerade zu Ende gegangenen Urlaubs auf Rügen kam ich in den wohlverdienten Genuss, gemeinsam mit meiner Mama jeden Abend in einem anderen Restaurant einzukehren (bei unserer Radwandertour war es jeden Abend sogar ein anderer Ort). Beim hungrigen Studieren der Speisekarten stieß ich auf so lustige Formulierungen wie „Schweineschnitzel unter der Senfkruste an knusprigen Bratkartoffeln“ oder auch „Fangfrisches Filet vom Lachs an einem Salat von der Roten Bete“. Mein Favorit ist „Stampf vom Erdapfel“, den es bei diversen Gerichten als Beilage dazugab. Vergeblich habe ich „Schweineschnitzel in Senfpanade und Bratkartoffeln“, „Lachsfilet mit Rote-Beete-Salat“ oder „Kartoffelpüree“ gesucht. Offensichtlich ist das nicht mehr extravagant genug.
Die großen Vorbilder scheinen die teuren Restaurants zu sein, die von jeher ihre wenig umfangreichen Gaumenschmäuse in aufgeblasene Namenshülsen stecken. Ein Essen klingt scheinbar umso aufwändiger und außergewöhnlicher je mehr Wörter seine Beschreibung umfasst. Hier geht es nicht um die Abwertung wirklich prämierter Restaurants, in deren Küchen sicher gut ausgebildete Köche stehen, die ihr Handwerk verstehen und einen Unterschied zwischen Sauce und Essenz zu kreieren wissen. In solchen Genuss-Tempeln haben meine Mama und ich auch gar nicht gesessen, und trotzdem wurden wir mit den vermeintlich hochtrabenden Formulierungen bombardiert. Man musste sich fragen, was der arme Beilagensalat verbrochen hatte, dass nun sein hochnäsiger Bruder „Bouquet von marktfrischen Salatvariationen“ den Tellerrand verschönerte. Und immer wieder zusammen mit der bemitleidenswerten Strauchtomate. Ich kenne keine Statistiken, aber das Wort des Jahres aus dem malerischen Speisekartendeutsch ist mit Sicherheit „Strauchtomate“! Die primitive Tomate hätte es nie zu solcher Berühmtheit geschafft. Immerhin wetteifern die Restaurants, die in unserer Preiskategorie auch verständliche „Nudeln mit Tomatensauce“ anbieten dürften, nicht auch noch insofern mit ihren eitlen Vorbildern, als dass sie ab sofort ihre Speisekarten in Französisch verfassen. Denn „Escalope panée avec des pommes sautées“ würde wohl vollends zu Verwirrungen führen.

Es hat uns trotzdem geschmeckt. Und irgendwie war es fast, als ob jedes Restaurant als kleines Appetithäppchen seine Speisekarte mit diesen holprigen Ausdrücken gespickt hat. Wir hatten jedenfalls allabendlich etwas zu lachen und müssen im Nachhinein erkennen, dass wir uns vorher noch nie so ausgiebig über die angebotenen Speisen unterhalten haben. Wenn auch mit Lachtränen in den Augenwinkeln.