Archiv für den Monat: Juni 2009

Das Internet braucht einen neuen Ehren-Codex

Informationen werden heutzutage in rasender Geschwindigkeit verbreitet. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Informationen wichtig sind (z.B. Berichte von den Demonstrationen im Iran) oder sich in einer gewissen Banalität verlieren („Trinke gerade Kaffee“).

Der Informationsfluss wird immer schneller. Während früher Pressemitteilungen noch „revolutionär“ via Fax übermittelt wurden, geht heute ohne Email eigentlich gar nichts mehr. Ist ja auch einfacher: Mit einem Klick verschwindet der Text vom eigenen Rechner und taucht bei den zahlreichen Redakteuren wieder auf, um dort mehr oder weniger bearbeitet in das eigene Textbearbeitungsprogramm hineinkopiert zu werden. Fertig. Früher musste man die Meldungen ja noch abtippen…

Seit kurzem hat die Welt nun Twitter entdeckt. Eine Erfindung, die den Informationsfluss noch einmal erheblich verschnellert und eigentlich schon etwas älter ist, aber doch ihre gesellschaftliche Relevanz erst durch den Amoklauf in Winnenden erlangt hat. Seitdem twittert alle Welt und auch die Zeitungen und Politiker machen mit.

Ist auch alles sehr einfach: In 140 Zeichen kann man einer anonymen Leserschaft mitteilen, was man denkt, fühlt oder tut. Der Leser selbst kann ja entscheiden, was wichtig ist oder nicht.

Doch dieses Instrumentarium ist mächtig. Sehr mächtig. Erlaubt es uns doch mit zahlreichen Menschen in Kontakt zu kommen, um „Informationen“ (zu deren Relevanz habe ich bereits etwas gesagt) zu verbreiten. Google durchforstet diese „Tweets“ dann auch noch in rasend schneller Zeit und so kann man wunderbar in aller Welt gefunden werden, auch wenn man nur 20 oder 30 Abonnenten seiner Tweets hat. Diese Macht des Instrumentariums kann man positiv, aber natürlich auch negativ nutzen.

Während im Iran Twitter zum Hauptkommunikationsmedium avonciert und damit die berechtigten Massenproteste unterstützt, berichtete der Spiegel am vergangenen Wochenende von der potentiellen Möglichkeit, dass gezielte Informationen am Tag der Bundestagswahl das Wahlverhalten der Wechselwähler beeinflussen könnte: http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,632942,00.html

Erst wenige Tage zuvor hatte ich von einem Mitglied des Bundestages erfahren, dass es die sogenannten „exit polls“ (also Umfragen zum Wahlausgang) überhaupt gibt und sie den Parteien am Wahltag bereits um 12 und um 16 Uhr mitgeteilt werden. Die Umfragen um 16 Uhr sind mittlerweile so genau, dass die Abweichung zum amtlichen Endergebnis nur noch minimal ist. Die Kandidaten wissen also bereits um 16 Uhr, ob es etwas aus der Karriere als MdB oder MdEP werden könnte oder ob gewisse Koalitionskonstellationen Mehrheiten bekommen… Dieses Wissen ist Macht!

Nun kommen wir wieder zum immer schneller werdenden Informationsfluss. Alle wollen mitschwimmen, doch langsam muss man sich fragen: „Mit welcher Arbeitskapazität?“. Doch das ist ein anderes Thema für einen späteren Blogeintrag.

Der Reiz derzeit ist doch: Wer meldet die Sensation zuerst!?! Zugegebenermaßen gehörte auch ich dazu, als ich aus der Synode live via Twitter berichtete und den Ausgang der Bischofswahl verkündete. Ähnliches war es bei der Bundespräsidentenwahl. Da ich scheinbar den „richtigen“ Menschen auf Twitter folgte, wusste ich bereits vor der offiziellen Verkündung des Wahlergebnisses, dass Horst Köhler gewählt worden war.

Angeblich sollen laut dem oben genannten Spiegel-Artikel auch bei der Europawahl die exit polls veröffentlicht worden sein. Zumindest hier hat das keine große Rolle gespielt. Heute morgen kamen Gerüchte auf, das es ein Spiegel-Redakteur war, der die exit polls veröffentlicht hatte.

Eine weitere – in meinen Augen abstruse – Erfindung sind Seiten wie wahlgetwitter.de. Auf diesen Seiten werden die Tweets der Twitternutzer ausgewertet. In folgendem Beitrag werden hier Voten wie CDU+ oder CDU- ausgelesen: „@cdu_news http://twitpic.com/8qy51 – #Regierungsprogramm-Kongress: Großes Medieninteresse in Berlin #cdu+ #csu+“
Die Seite bündelt diese Voten und will deutlich machen, wie momentan die politische Stimmung auf Twitter ist. Warum? Es hat doch keinerlei Relevanz noch Aussage, denn ich kann in meine 140 Zeichen doch auch einfach so oft #aaa- schreiben wie ich es Twitter zulässt und es würde ausgewertet werden! Dabei spielt es keine Rolle, ob da ein politischer Skandal aufgedeckt wurde oder ob der politische Mitbewerber nun der Meinung ist, dass z.B. die eine Aussage unglücklich gewählt war.

Sowohl die Diskussion um den Informationsfluss, als auch um die exit polls führen einem vor Augen, dass es noch keinen Ehren-Codex für Twitter oder auch das Internet insgesamt gibt! Was für Internetforen bereits allgemein gültig vorgeschrieben ist, sollte auch für Twitter und Co eingeführt werden! Hier meine Forderungen:

  • Keine Beleidigungen!
  • Kein Wahlkampf mehr am Wahltag!
  • Fair bleiben!
  • Abschaffung wertender Hashtags!

Mein frommer Wunsch wäre dann noch, dass der Informationsfluss etwas weniger schnell wird… momentan ist es einfach eine wahre Informationsflut, die kaum noch gefiltert werden kann.

So, hier ende ich nun und merke, dass ich schon wieder zu diesem Thema zwei oder drei andere Einträge schreiben könnte…

Schreibt mir Eure Meinung! Hier oder auf Twitter: http://twitter.com/Thorsten_Schatz

Männerabend

„Der Schreibtisch ist clear.“
„Gut, gib mir Deckung!“
„Die Tür ist safe. Ich hab hier die Doppeltür gesichert.“
Es fallen Schüsse, man hört verletzte Männer stöhnen, wissend, dass sie grad die letzten Minuten ihres ereignisreichen Lebens aushauchen.
„Ich bin tot, Du musst allein weitermachen.“
„Gut, es sind noch zwanzig Männer, ich mach’s.“

Die Boxen, die mit unserem Fernseher verbunden sind, spielen seit Minuten nichts anderes als die knatternden Geräusche der Computermaschinengewehre. Um’s genau zu nehmen, sind es Xbox360-Maschinengewehre. Jungs, es geht schließlich um Eure Ehre, wir wollen hier also keine verfälschten Informationen zu Euren Heroentaten aufführen. Die Xbox360-Kugeln treffen die Xbox360-Terroristen, die – unseren Helden sei Dank – nun keine Gefahr mehr für die Welt darstellen.
Konzentriertes Schweigen. Der neue Raum ist doch verdächtig ruhig. Dann plötzlich – da sind schnelle Reaktionen gefragt, die nicht jeder von Hause aus mitbringt – zehn neue Gegner, die sogleich kaltblütig zur Strecke gebracht werden müssen. „Soll ich ’ne Bombe werfen?“ – „Nee, lass mal, die machen wir auch so kalt!“
Der Abstand zwischen dem Fernsehbildschirm und den Nasenspitzen der zwei wackeren Freunde beträgt knapp einen Meter. Vermutlich wäre in zwei Metern Entfernung ebenso viel zu erkennen. Aber offenbar erhöht diese gesundheitsschädliche Hab-Acht-Stellung die Detailschärfe enorm. Die Ellenbogen auf den Knien aufgestützt, die Hände verkrampft am Controller, die Knöchel weiß hervortretend, der Kopf taubenähnlich nach vorn gestreckt. Blinzeln wird als Schwäche verurteilt, atmen nur erlaubt, wenn aller Wahrscheinlichkeit nach gerade wirklich keine Gefahr droht. Die Jungs müssen vorbereitet sein. Nur ein Feind, den man schon vor seinem Auftauchen erahnt, ist ein besiegbarer Feind. Es ist unübersehbar, dass hier wahre Männer am Werk sind.
Im Wohnzimmer/Auf dem Schlachtfeld herrscht eine adrenalingeschwängerte Atmosphäre gepaart mit dem Geruch von testosterongeladenem Schweiß. Der männliche Duft jener Kampfhähne, von denen die Entscheidung über Leben und Tod der Xbox360-Unschuldigen abhängt. Das herbe Aroma jener Giganten, die erkannt haben, dass sie nicht nur das Schicksal einiger weniger, sondern eigentlich die Fäden aller, ja der ganzen Welt, in ihren Händen halten. Der markante Hauch jener Teufelskerle, die wissen, dass sich die Menschheit glücklich schätzen kann, dass unter ihr noch Helden wandeln, wie es sie in Jahrhunderten nur selten gab, gibt und geben wird.
Angewidert rümpfe ich die Nase und öffne das Fenster…

„Sorry, ich schaff’s heute nicht…“

Mein Handy summt. „Sorry, ich schaff’s heute nicht. Tut mir echt leid, aber ich hab heute einfach zu schlecht geschlafen.“ Es wundert mich eigentlich nicht. Trotzdem bin ich mal wieder enttäuscht und ziemlich sauer über die leichtfertige Entscheidung, ein Treffen so kurzfristig abzusagen. Noch dazu mit einer Begründung, die mir als überzeugend so überhaupt nicht einleuchten möchte.
Aber auch „Hey Süße, es tut mir wirklich leid, aber ich schreibe Mittwoch und Freitag Klausuren und muss noch so viel lernen. Können wir unser Treffen heute verschieben?“ tragen nicht zu meiner Erheiterung bei. Natürlich weiß ich, dass es so das Beste ist, denn selbst wenn das Treffen zustande käme, wäre mein Gegenüber in Gedanken sowieso nur bei seinen Klausuren. Und ich würde mir den Kopf darüber zerhämmern, ob man die Daten für Klausuren nicht schon so lange im Voraus wissen müsste, um vergleichbare SMS vermeiden zu können, wenn man nur den Mut gehabt hätte, im Vorfeld mal zu sagen „Ich würde Dich wirklich gerne sehen, aber in der Woche werde ich es wohl nicht schaffen, weil ich so viele Klausuren zu schreiben habe“…
Hat man sich in einem netten Café oder Restaurant verabredet, ist die Nachricht zwar sehr ärgerlich, aber weitere wirkliche Konsequenzen hat sie nicht. Anders ist es, wenn ich die Einladende zu einem leckeren Essen bei mir war und nun überlegen muss, wohin mit den überflüssig gekauften Lebensmitteln. Trotzdem verwenden, um viel zu viel meines schmackhaften Essens herzustellen? Die überschüssigen Lebensmittel liegen lassen, um sie an einem anderen Tag zu verwenden? Sie vielleicht demjenigen vor die Tür legen, für den man sie eigentlich gekauft hat?
Es geht hierbei weniger um die Ausgaben. Es geht wie so oft ums Prinzip. Fragt mich jemand, ob ich an diesem oder jenem Tag Zeit für ein Treffen habe, überlege ich, ob ich diese Frage bejahen oder aus leidlichen Gründen verneinen muss, selbst wenn ich wirklich Lust aufs Treffen habe. Habe ich mich verabredet, halte ich das Treffen ein. Merke ich, dass es zeitlich doch nicht klappt, melde ich mich rechtzeitig, besonders, wenn abgesprochen war, dass zusammen gegessen werden sollte. Selbstverständlich gibt es unvorhergesehene Situationen, die von jetzt auf nun als voll und ganz verständliche Erklärungen genügen, aber von denen habe ich bisher noch keine in den SMS Typ „Sorry, ich schaff’s heute nicht, weil …“ gehabt.
Ich möchte nicht behaupten, dass ich nie Verabredungen absage, und auch ich habe schon SMS geschrieben mit ähnlichen Inhalten wie den oben erwähnten, aber nicht drei Stunden vor dem Treffen.
Inzwischen fühle ich mich immer mehr wie die pedantische Dumme, die ziemlich allein ist mit ihrem Vorwurf, dass viele endlich mal wieder lernen sollten, eine Verabredung als etwas anzusehen, was nicht leichtfertig und ohne nachzudenken abgesagt werden sollte. Ich habe gute Freunde, bei denen ich von vornherein weiß, dass die abgemachte Verabredung nicht zustande kommen wird, obwohl sie anfangs glaubhaft versichern, dass sie sich auf das Treffen freuen. Das schwächt auf Dauer das freundschaftliche Vertrauen und ist dazu noch ein unterschwellig transportiertes Statement: Eine Verabredung mit Dir ist mir nicht so wichtig, als dass ich sie nicht bei jeder kleinsten Änderungen meiner sonstigen Vorhaben absagen würde.
Ich frage mich, ob wir so vielleicht ab sofort mit unserem Arbeitgeber umgehen sollten. „Sorry, Chef, ich hab die ganze Nacht durchgefeiert, ich schaff’s leider nicht zu meinem Termin.“ Wir würden uns gegenüber unseren Vorgesetzten üblicherweise nicht trauen, Termine aus wenig triftigen Gründen abzusagen. Da klappt es doch mit der Verbindlichkeit, warum nicht auch im Alltag? Weil man mit seinem Vorgesetzten nicht auf einer Stufe steht und im Job vor allem befürchten muss, dass eine Missachtung eines Termins, wie die Verabredung in der Berufswelt genannt wird, Nachwirkungen haben kann?
Vielleicht werden Verabredungen im Alltag deshalb so häufig abgesagt, weil wir im Berufsleben – und ich schließe hier auch jede berufliche Ausbildung mit ein – schon genug davon haben. Der enorme Termindruck, unter dem man mehr und mehr steht, soll nicht auch im Alltag zu spüren sein. Das sehe ich sogar ein, aber eine Rechtfertigung für eine Absage fünf Minuten vor Toresschluss erkenne ich hierin nicht.
Wir würden alle davon profitieren, wenn Verabredungen in unserem sozialen Miteinander als ebenso verbindlich angesehen werden wie jene aus der Berufswelt. Vielleicht sollte man sich häufiger die Frage stellen, ob man ein Treffen auch absagen würde, wenn es sich dabei um einen Termin im Job handeln würde. Ich plädiere nicht für eine zwangsläufige Einhaltung jeder Verabredung, wenn es nachvollziehbare Gründe für eine Absage gibt. Aber ein bisschen mehr „Ja!“ zu einem zuvor freiwillig vereinbarten Treffen, auch wenn die Umstände nicht die idealsten sind (wann hat man die denn schon?), und weniger „Sorry, ich schaff’s heute nicht, weil ich schlecht geschlafen habe“ würden einer Freundschaft und unserem Miteinander gut tun. Und mal ehrlich: Wir hatten alle schon mal Verabredungen, auf die man vorher keine Lust hatte, weil irgend etwas angeblich dazwischengekommen ist. Und danach sagen wir nicht selten: „Es war schön. Hat sich gelohnt.“
Also: Nehmen wir Verabredungen ernst. Denken wir im Vorfeld ehrlich darüber nach, ob wir überhaupt Zeit dafür haben (ein ehrliches Nein tut weniger weh als eine kurzfristige Absage!). Freuen wir uns schließlich drauf, auch wenn wir plötzlich meinen, es nicht zu schaffen. Erkennen wir ein Treffen mit Freunden als willkommene Erholung von unserem sonst so terminbeladenen Alltag an. Und seien wir schließlich so rücksichtsvoll, eine notwendige Absage rechtzeitig zu formulieren. Uns selbst bringt das nicht weiter, aber demjenigen, dem man die Absage schreibt, hilft es. Und auf Dauer auch der Freundschaft.