oder: Mit dem SEP in Bad Freienwalde
FREITAG
Um 14.10 Uhr sammeln sich 30 Studenten der Theolgischen Fakultät in der Eingangshalle des S-Bahnhofes Hackescher Markt. Sie sind bewaffnet mit Rucksäcken und haben alle mindestens eines gemeinsam: sie alle gehören dem Studien-Eingangs-Projekt (SEP) – einem Pflichtkurs des ersten theologischen Fachsemesters – an.
An diesem Wochenende sind die eigentlich 50 SEP-Teilnehmer „eingeladen“ nach Bad Freienwalde zu fahren, aber nur 30 Studenten finden keine passende Ausrede – auch ich nicht. Mit der S-Bahn geht es nun zum Bahnhof Lichtenberg, wo wir in einen Zug der Ostdeutschen Eisenbahn steigen, der schon zu diesem Zeitpunkt hoffnungslos überfüllt ist, denn warum auch immer, besteht dieser Zug an diesem Tage nur aus einem Wagon! Mit Drängeln und einer Menge Humor drücken wir uns dennoch alle in den Wagon und warten auf das Abfahren des Zuges. Doch schon eine Station später wird die Wagon-Gemeinschaft auf die Probe gestellt: eine ältere Dame will mit einem Fahrrad zusteigen. Erste Witze werden laut, wir könnten das Fahrrad ja über unseren Köpfen transportieren…wie auch immer wir es schafften, mit Mühe und Not wurde das Fahrrad wirklich noch untergebracht.
1,5 Stunden später kamen wir dann in Bad Freienwalde an. Eine trostlose Stadt in der Nähe der polnischen Grenze. Da die angemietete Jugendherberge etwa 3,5km vom Bahnhof entfernt liegt und es auch keine Busverbindung gab, machten wir uns also auf den Weg. Etwa eine halbe Stunde später kamen wir in unserer Herberge, dem „Haus Einheit“ an. Dieses liegt versteckt im Wald am Arsch der Welt. Naja, es sollte ja auch nur für eine Nacht sein.
Wir bezogen unsere Zimmer. Ich kam in einem überaus lustigen 8er-Zimmer unter mit einem (!) Hochbett, wie ich es noch nie gesehen habe! Dieses Hochbett nahm die ganze Breite des Zimmers ein. Auf zwei Ebenen lagen dort jeweils vier Matrazen nebeneinander und nur über das Fußende konnten wir auf die Liegefläche krabbeln.
Bereits im Zug wurden die ersten Biere gezischt. Bevor wir nun in die erste Arbeitseinheit gingen, wurde schnell noch ein zweites Bier getrunken. In Eikes und meinem Fall war es ein „Sturzbier“, was auch recht schnell durchschlug…
Die beiden wissenschaftlichen Mitarbeiter hatten sich für das Wochenende ein Planspiel ausgedacht. Wir bekamen jeder per Losverfahren eine Rolle zugewiesen. Jeweils fünf Rollen bildeten eine Interessengemeinschaft.
Folgende Situation: 19.01.2041: Die EKBO und das Erzbistum wollen konfessionelle Unterschiede überwinden und auf Grundlage eines gemeinsamen Bekenntnisses fusionieren. Dies soll eine Reaktion auf die schwindenden Mitgliederzahlen der Kirchen sein. Die Zahl der Christen ist in Berlin bereits unter die 10%-Marke gefallen. Eine Konferenz in Bad Freienwalde solle nun die Frage des Bekenntnisses klären.
Es gab folgende Gruppen:
1a) Erzbistum Berlin
1b) Internationale Katholische Kirche
2a) Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz
2b) EKD
3) Der Berliner Senat
4) Dachverband „Werte Ja – Kirche Nein“
Es gab drei Gruppenphasen:
Phase 1: Charaktere ausarbeiten, Positionen erarbeiten und dann Rolle annehmen
Phase 2: Über die Poststation in Verhandlungen mit anderen Gruppen treten
Phase 3: Die Konferenz
Das Losverfahren teilte mir die Rolle des „Ron“ zu, welcher der päpstliche Nuntius aus Rom darstellte. In meiner Gruppe gab es noch folgende Rollen:
1. Nuntius aus Rom
2. Vorsitzender der deutschen Bischofskonferenz
3. Präsident der Katholischen Akademie
4. Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZDK)
5. Mitglied des Opus Dei
Wir hatten unglaublich viel Spaß in unserer Gruppe, so dass nach katholischer Tradition natürlich gleich mal die ersten Biere geleert wurden, was etwas kritische Blicke bei der Spielleitung erzeugte. Schon bald war klar, dass wir alle ziemlich antiquierte Meinungen annehmen sollte und natürlich gegen eine Fusion der Kirchen sind.
Nach dem Abendessen, hatten wir den Abend über frei. Und wie das so bei Theologen ist, wurden erst einmal die Getränkevorräte geklärt… 15 Kästen Bier und eine Pulle Sekt, die jedoch schon zu diesem Zeitpunkt leer war, sollten uns den Abend versüßen.
Kurzum… es wurde ein feuchtfröhlicher Abend und ich habe einige Biere getrunken, obwohl das sonst nicht so mein Ding ist, aber das Bier war lecker und die Stimmung unter den etwa 15 Mittrinkenden gut. Ich kürze hier ab… das Bier war nach dieser Nacht alle, so dass am Samstag bei den meisten nur Wasser mit Asperin oder Saft/Caola oder ähnliches anstand.
Irgendwann gegen Mitternacht kamen wir dann auf die Idee auf unserer „Liegewiese“ den Film „Das Leben des Bryan“ anzusehen! Welch Highlight!
Gegen 3 Uhr in der früh ging ich dann schlafen.
SAMSTAG:
Um 7.30h klingelte mein Handy-Wecker (eine Aila-Macke… *gg*). Ab unter die Dusche und dann zum Frühstück. Nach dem Frühstück hatten einige Kommilitoninnen eine Andacht vorbereitet. Leider kommen die drei aus dem freikirchlichen Bereich, so dass die Andacht mit klar geprägten Lobpreis- und sogar Predigt-Elementen ablief. Ich konnte damit rein gar ncihts anfangen und hielt mich daher wie einige andere auch zurück.
Nach der Andacht begann dann Phase 2. Wir besprachen unsere Gruppenmeinung und setzten unsere ersten Briefe auf, um Verbündete und Gegner auszumachen. Da ich mir für meinen ersten Brief echt viel Mühe gegeben habe, möchte ich ihn Euch zeigen:
Bad Freienwalde, 20. Januari 2041
Der Nuntius des Papstes an das Erzbistum Berlin
Sehr geehrter Herr Bischof Paul,
sehr geehrte Brüder und Schwestern des Erzbistums Berlin!
Ich sende Euch die Grüße des Heiligen Vaters, Papst Pius Silencius.
Der Heilige Stuhl hat sich mit all seiner Weisheit und Gottes Gnade und der Fürsprache aller Bischöfe und Diakone dazu durchgerungen, Euch seine Meinung zur Berliner Sache mitzuteilen:
Die Annäherungsversuche der protestantischen Glaubensbewegung halten wir derzeit nicht für geeignet. Die für die Heilige Mutter Kirche wichtig erachtete Frage der Eucharistie ist nach wie vor ungeklärt. Eine Abweichung von der eucharistischen Abendmahlshandlung kann nicht akzeptiert werden.
Die Ketzer sind vor gut 500 Jahren aus der Heiligen Mutter Kirche ausgetreten. Eine Rückkehr in den gütigen Schoß der katholischen Kirche kann nur über Einsicht und Buße und eine uneingeschränkte Annahme aller Glaubenssätze der katholischen Kirche geschehen. So wie im Gleichnis vom verlorenen Sohn – wie unser Herr Jesus Christus berichtet – nicht der Vater dem Sohne hinterherrennt, werden auch wir nicht den Ketzern entgegenkommen.
Für Abweichungen von der Meinung unseres Heiligen Vaters wird vom Heiligen Stuhl die Exkommunikation als probates Mittel angesehen, denn: extra ecclesia non salus est.
Im Namen des Heiligen Vaters
Ron
Nuntius des Vatikans
Ziel des Briefes war natürlich das Erzbistum unseren Standpunkt darzulegen und sie mittels der Hierarchie auf unsere Seite zu bringen. Jedoch bekamen wir als Antwort Hähme und die Frage, ob ich denn wirklich die Meinung des Papstes kennen würde!? Dies ließen wir uns natürlich nicht bieten und so beauftragte ich den Vorsitzenden der Bischofskonferenz, den abtrünnigen Bischof Paul zur Ordnung zu rufen. Doch auch hierauf bekamen wir zur Antwort, dass wir religiöse Fanatisten seien. Daraufhin entzog ich Bischof Paul die Bischofswürde und weihte kurzerhand ein Mitglied meiner Gruppe zum Erzbischof von Berlin. Paul lies ich dann vor unsere Gruppe zitieren und er musste bei uns Abbitte leisten. Der neue Bischof Atticus sorgte dann dafür, dass das Erzbistum – zumindest in der Gruppenphase 2 – auf unsere Linie kam.
Währenddessen spielten sich auch in anderen Gruppen lustige Szenen ab. So trat der Kultursenator nach Bestechungsvorwürfen der EKD zurück. Aber das Spiel wurde teilweise auch sehr persönlich.
So erhielt ich einen Brief von einer Medizinerin (wir wussten ja nicht wer hinter den Rollen stand, denn wir durften uns eigentlich nicht darüber austauschen), worin ich als Vertreter der Katholischen Kirche scharf angegriffen wurde. Ich ließ das nicht auf mir sitzen und schrieb einen scharfen Brief zurück. Den Inhalt kann ich hier nicht wiedergeben, da mir die Meinung, die ich vertreten musste, zu radikal ist. Nur so viel: Es ging um die Erbsünde der Frauen…
Die Medizinerin jedenfalls – real tatsächlich eine Frau – fasste meine Brief persönlich auf und sprach fortan kein Wort mit mir. Das war die Kehrseite dieses Spiels.
Je länger die zweiten Phase andauerte desto mehr geriet das Spiel aus den Fugen.
Die Mittagspause kam zur rechten Zeit, auch wenn die anschließende zweistündige Mittagspause klar an unseren Nerven zerrte, da wir alle ja wenig geschlafen hatten. Zu zehnt lagen wir dann in die abgezogenen Decken und Kissen gehüllt auf der Liegewiese des 8er-Zimmers und hörten Musik. Da fing bei mir das Nachdenken wieder an. „No woman, no cry“ tönte es passend aus den Boxen. Da war sie wieder – die Sehnsucht nach Aila.
Die anderen bekamen dies schnell mit und versuchten mich abzulenken und so gingen Eike, Christopher und ich dann ein wenig im nassen Wald spazieren. Die beiden wollten unbedingt auf einen Hügel klettern, wobei ich mich dann aber nicht anschloß, sondern allein den Wald für mich entdeckte. Und so lief ich laut Wise Guys-Lieder singend und gleichzeitig meinen Gedanken nachhängend durch den Wald. Das tat gut, auch wenn ich mir nasse Füße holte.
Nach dem Kaffee begann dann die eigentliche Konferenz. Jede Gruppe entsandte einen Vertreter. Als ranghöchster Katholik vertrat ich die internationale Römisch-Katholische-Kirche. Meinen Unmut zog sich Exbischof Paul zu, der statt Bischof Atticus das Podium vertrat. Ich hatte unheimlich viel Spaß. Ich karrikierte einen weltfremden Hardliner der Katholischen Kirche, der auch mal das ein oder andere austeilte. Leider kam eine Diskussion über ein Bekenntnis nicht so recht in Gang, da sich das Erzbistum und auch die EKBO auf eine strukturelle Fusion geeinigt hatten. Das konnten sowohl der Vertreter der EKD, die übrigens im Zuge der Phase 2 von der EKBO geschluckt wurde (…), als auch ich nicht mittragen. Der Kultursenator gab sich alle Mühe zu theologischen Fragen überzuleiten, aber wir kamen immer wieder auf personelle und strukturelle Fragen zu sprechen. Die Stimmung sowohl im Podium als auch im Auditorium wurde immer gereizter. Nach 1,5 Stunden schien mir die Diskussion so festgefahren, zumal Bischof Paul immer deutlicher evangelische Ansichten vertrat und mir sogar offen wiedersprach, was in der Realität innerhlab der katholischen Hierarchie undenkbar ist, so dass ich meine Sachen packte und das Podium verließ und im Auditorium Platz nahm, was mit Beifall quitiert wurde. Kurz danach brach die Spielleitung die Diskussion ab.
Danach bekam ich viel Lob für meine Mimik und für die Darstellung meiner Rolle und auch noch knapp zwei Stunden danach wurde im Zug viel über das Planspiel diskutiert.
Gegen 20.30 Uhr kam ich dann am S-Bhf Tiergarten an, wo ich mein Auto geparkt hatte. Insgeheim hatte ich ja gehofft, dass mich jemand spezielles vom Bahnhof abholen würde. Keine Ahnung warum, aber ich hatte es gehofft. Nun nur mein Autochen wartete auf mich, immerhin.
Da ich vollkommen fertig und übermüdet war, endete mein Tag bereits um etwa 22 Uhr im gemütlichen Bettchen…